Berliner Schloss

Rekonstruktion der barocken Fassaden des Berliner Schlosses

Zehn Jahren hat das Berliner Architektenbüro Stuhlemmer damit verbracht, systematisch alte Baupläne, Fotografien und Fragmente des Berliner Stadtschlosses zu erforschen und auszuwerten. In minutiöser Detailarbeit konnten alle drei barocken Fassaden einschließlich der Innenhöfe dokumentiert und in millimetergenaue Baupläne übertragen werden.

"Wir müssen wie Schlüter denken"

Architekt York Stuhlemmer über die Rekonstruktion der Baupläne für das Berliner Stadtschloss in DIE WELT, veröffentlicht am 04.07.2006.

DIE WELT: Was war bei der Rekonstruktion der Schloßfassaden die überraschendste Erkenntnis?

York Stuhlemmer: Es gab immer wieder Neues zu entdecken. Viele Vermutungen aus der Anfangszeit, die wir aufgrund von Schloß-Fragmenten hatten, konnten wir erst überprüfen, nachdem wir die Fassaden mit all ihren kleinen Unregelmäßigkeiten einmal rundherum gezeichnet hatten. Bei diesem Bau, der heute gewissermaßen aus dem Nichts entsteht, war die wichtigste Frage: Was hat Andreas Schlüter für einen Gedanken gehabt? Wie hat er entworfen? Dazu haben wir klassische Traktate herangezogen, von Scamozzi, Vignola und Palladio. Baumeister wie Schlüter waren in dieser klassischen Ausbildung zu Hause. Am interessantesten war es dann, zu rekonstruieren, wo Schlüter kanonisch gearbeitet hat und wo er bewußt von den klassischen Traktaten abwich. Wir haben festgestellt, daß etwa die Portale I und V in ihrer Grundanlage bei Breite und Höhe nach dem goldenen Schnitt konstruiert sind. Dann gibt es aber eine zweite und dritte Ebene, die Säulenordnungen und Profilordnungen, die ihre eigenen Maße erfordern und sicher am wichtigsten Schlüters ganz eigene Raumvorstellung. Bei den Kolossalsäulen von Portal I beispielsweise sind die äußeren Säulen um etwa zehn Zentimeter dicker als die inneren.

WELT: Und jede Abweichung sollte beim Wiederaufbau berücksichtigt werden?

Stuhlemmer: Unbedingt, das machte die Fassaden ja so lebendig. Das Schloß hatte drei Baumeister: Schlüter, Eosander und Böhme. Wo wir feststellten, daß es nachweisbar intendierte Unterschiede gibt, haben wir sie in die Pläne aufgenommen. Das wird besonders in der Bildhauerei deutlich, etwa bei den 49 Adlern, die auf dem Hauptgesims sitzen. Hier erkennt man drei unterschiedliche Adler-Typen.

WELT: Wieviel Prozent aller Ornamentik am Schloß liegt jetzt in Modellen vor?

Stuhlemmer: Von den plastischen Elementen der Fassaden, die laut Bundestagsbeschluß rekonstruiert werden sollen, dürften es heute zehn bis zwölf Prozent sein. Bei Portal I liegt inzwischen das gesamte Bildprogramm in Gipsmodellen von Originalgröße vor, und da die dortigen kleinen Säulenordnungen auch in Portal II, IV, V und zum Teil im Schlüterhof vorkommen, sind wir auch dort schon sehr weit.

WELT: Wie entstehen die Modelle?

Stuhlemmer: Die Bildhauer bekommen von uns die präzisen Baupläne, dazu die fotografische Dokumentation des jeweiligen Fassadenelements. Daraus erstellt der Bildhauer zuerst ein Bozzetto, ein verkleinertes, dreidimensionales Werkstattmodell, an dem die plastische Wirkung erprobt wird. Davon ausgehend entsteht dann ein Tonmodell in Originalgröße, wovon wiederum Gipsabgüsse entstehen, die beständiger sind als Ton. Nach ihnen werden Steinbildhauer die Fassadenteile erstellen.

Schlüterhof

Portal IV

Fotos: Projektbild: Wikipedia / Zeichnungen: Stuhlemmer